Die Wim-Hof-Methode – Teil 2 – Es muss nicht gleich die Eistonne sein

Die Wim-Hof-Methode – Teil 2 – Es muss nicht gleich die Eistonne sein

Die Wim-Hof-Methode (WHM) basiert auf drei Säulen: dem Praktizieren einer bewussten Atemtechnik, der Exposition gegenüber Kälte (z. B. kaltes Duschen oder auch Eisbäder) und der inneren Einstellung (“Mindset”). Zum letzten Punkt gehören auch Faktoren wie die Selbstdisziplin oder der Glaube an sich selbst und an seine innere Kraft, die durch die Anwendung der WHM gestärkt werden können.

Das Atmen

Die Atemtechnik besteht aus drei Phasen. Zuerst atmet man 30–40-mal tief ein und atmet eher passiv wieder aus; die Betonung liegt dabei auf dem Einatmen. Die Technik stellt keine Hyperventilation dar, sondern eher ein vertieftes Atmen. Danach hält man die Luft solange wie möglich an. Man sollte hierbei nichts erzwingen. Hat man das Gefühl, wieder Luft holen zu müssen, atmet man einmal tief ein und hält den Atem für circa 15 Sekunden an. Danach atmet man wieder aus und beginnt mit der nächsten Atemrunde.

Insgesamt führt man drei bis vier dieser Runden aus. Man sollte sich hierbei nicht unter Druck setzen und möglichst entspannt sein. Für Anfänger empfiehlt Wim Hof, durch die Nase zu atmen. Man kann aber auch durch den Mund atmen oder wechseln, wenn der Mund beim Atmen trocken wird. Man sollte in den Bauch bzw. in das Zwerchfell atmen und die Luft sollte dann in einer Wellenbewegung auch die Lunge füllen. Ein leichtes Kribbeln in Händen und Füßen, eventuell auch Verkrampfungen, sind möglich und nicht besorgniserregend. Am besten führt man diese Atemtechnik morgens vor dem Frühstück aus. Man braucht dafür ungefähr 20 Minuten. Es gibt aber auch Personen, die ihre Atemübung abends machen und danach sehr gut schlafen können. Die Atemtechnik kann man übrigens im Liegen oder im Sitzen praktizieren.

Auf Sicherheit achten

Es ist absolut wichtig, dass man dafür einen sicheren Ort wählt, denn es könnte passieren, dass es einem schwindelig wird oder dass man sogar das Bewusstsein verliert. Für diesen Fall müssen Verletzungsgefahren ausgeschlossen werden. Und deshalb sollte man auch auf den Körper hören und nichts erzwingen. Es geht nicht um das Aufstellen irgendwelcher Rekorde! Man sollte die Atemtechnik auch niemals im oder am Wasser praktizieren und auch nicht beim Auto- oder Fahrradfahren.

Kurzzeitiger Stress als Therapie

Zunächst ist es interessant zu wissen, dass unser Nervensystem aus dem willkürlichen (somatischen) Nervensystem und dem vegetativen (autonomen) Nervensystem besteht. Das autonome Nervensystem reguliert Atmung, Herzschlag und Stoffwechsel und ist so definiert, dass es Abläufe regelt, die man nicht mit dem Willen steuern kann. Das vegetative Nervensystem unterteilt sich in das sympathische Nervensystem (Sympathikus, “Gaspedal”, “Fight or Flight”) und das parasympathische Nervensystem (Parasympathikus, “Bremse”, Ruhe und Verdauung) und das Eingeweidenervensytem (enterisches Nervensystem). Der Sympathikus und der Parasympathikus sollten sich in einem Gleichgewicht befinden. Bei chronischem Stress ist eine Überbetonung des Sympathikus gegenüber dem Parasympathikus vorhanden.

Durch die spezielle Atemtechnik kann man sich ganz gezielt in das autonome Nervensystem einklinken, den Körper kurzzeitig in einen Alarmzustand versetzen und den Sympathikus aktivieren. Vielleicht denkt man jetzt, wozu denn noch mehr Stress? Ein wesentlicher Unterschied zu Stresseinwirkungen, auf die wir keinen Einfluss haben, besteht darin, dass wir diesen kurzfristigen Stress selbst steuern und sozusagen therapeutisch einsetzen. Man nennt diese Form des gesunden Stresses auch “Hormesis”. Es ist gut, wenn sich unser Körper anpassen muss, dadurch flexibel bleibt oder wieder wird und aus seiner Erstarrung herauskommt.

Was passiert bei dieser speziellen Form des Atmens?

Durch das vertiefte Atmen erhöht sich der Herzschlag und dem Körper wird vermehrt Sauerstoff zugeführt, während Kohlendioxid ausgeatmet wird. Dadurch wird das Blut alkaliner, das heißt weniger “sauer”, denn beim Kohlendioxid handelt es sich um eine Säure. Fällt der pH-Wert des Blutes ab, das heißt mehr Säure im Blut, triggert dies den Reflex für das Luftholen. Da wir unseren Körper jedoch mit Sauerstoff angereichert haben und das Blut alkaliner geworden ist, brauchen wir nicht einzuatmen und können die Luft anhalten (Schritt 2 einer Atemrunde). Unser primitives Reptilienhirn weiß jedoch nicht, dass alles in Ordnung ist und triggert die Stressachse. Es kommt zur Ausschüttung von Adrenalin, der Adrenalinspiegel steigt an und es entsteht kurzzeitiger und von uns ganz bewusst eingesetzter Stress. Wenn wir beim dritten Schritt einer Atemrunde wieder Luft holen, kommt es zu einer Ausschüttung von Glückshormonen. Nach drei bis vier Atemrunden fühlt man sich stärker, leichter und ruhiger.

Was sind die Vorteile für unsere Gesundheit?

In seinem Buch “The Wim Hof Method – Activate Your Potential, Transcend Your Limits” (Deutscher Titel: “Die Wim Hof Methode – Sprenge deine Grenzen und aktiviere dein volles Potential”) erklärt Wim Hof, dass er die Atemtechnik nicht aus einer Art Pflichtgefühl heraus täglich anwendet, sondern weil er ganz einfach spürt, wie gut sie ihm tut. Im Folgenden einige der von ihm genannten positiven Auswirkungen auf den Organismus: Regulierung des Immunsystems und der Entzündungsaktivität im Körper, bessere Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und verbesserte Sauerstoffverwertung (hierdurch können Krankheiten besser abgewehrt werden, möglicherweise sogar Krebs, denn ein geringer Sauerstoffgehalt ist charakteristisch für Krebszellen), Alkalisierung des Blutes, erhöhte Energieproduktion (mehr Sauerstoff in den Mitochondrien bedeutet mehr ATP sprich Energie), erhöhte Fähigkeit des Nervensystems (Sympathikus/Parasympathikus) sich zu regulieren und in eine gesunde Balance zu finden, Stärkung des Vagusnervs, bewussterer Umgang mit sich selbst, mehr Ruhe und Gelassenheit, verbesserte Selbstheilung.

Die Kälteanwendungen

Kälte ist ein sehr starker Reiz, der einen großen Effekt auf das Herz-Kreislaufsystem und das Immunsystem hat. Man sollte nicht gleich mit einem Eisbad beginnen und es reicht auch aus, wenn man sich stattdessen für eine kurze Zeit kalt abduscht. Auch daran sollte man seinen Körper langsam gewöhnen und nicht damit beginnen, wenn man sich krank fühlt.

Wim Hof empfiehlt nach dem warmen oder heißen Duschen die Wassertemperatur zu reduzieren und zuerst die Extremitäten dem kalten Wasser auszusetzen. Wenn man das gut aushält, kann man auch den restlichen Körper kalt abduschen. Den Kopf sollte man dabei zunächst aussparen, da er sehr schnell auskühlt.

Wenn man täglich duscht, kann man beispielsweise in der ersten Woche nach dem eigentlichen Duschen noch 30 Sekunden lang kalt duschen. In der zweiten Woche kann man die kalte Dusche auf eine Minute steigern, in der dritten um weitere 30 Sekunden und in der vierten Woche ist man dann bei zwei Minuten angelangt. Dies ist Wim Hofs Vorschlag. Er sagt jedoch, dass man auch mit kürzeren Zeiten beginnen und diese langsamer steigern kann. Man sollte auch hier nichts erzwingen. Wim Hof erklärt:

“Die Methode wird ihre Wirkung zeigen, selbst wenn man niemals ein Eisbad nimmt, es nie schafft, den Atem länger als zwei Minuten anzuhalten oder auch wenn die Temperatur der Dusche niemals unter 60 Grad ist. [Die Temperaturangabe bezieht sich auf Grad Fahrenheit und entspricht 15,5 Grad Celsius.] Die Atemübungen kann man sogar machen, ohne überhaupt aus dem Bett gestiegen zu sein.“[1]

Die Kälteeinwirkung führt zunächst zu einer Stressreaktion, aber dann kommt es zu einer Aktivierung des Parasympathikus, vor allem wenn man ruhig atmet, und es kehrt innere Ruhe ein.

Wim Hof empfiehlt die Kälteanwendung nach dem Praktizieren der Atemtechnik, aber dies muss nicht notwendigerweise so sein. Wenn man es nicht so sehr mit der Kälte hat, kann man auch zuerst einmal mit dem Praktizieren der Atemtechnik beginnen, aber wenn man beides praktiziert, erhöht sich die Effektivität.

Positive Auswirkungen auf Körper und Psyche

Langanhaltende Verminderung der Herzfrequenz, Stärkung von Gefäßtonus und -funktion, Entlastung des Herzens, Stressreduktion, Stimmungs- und Schlafverbesserung, Optimierung des Immunsystems, Erhöhung der Widerstandskraft, Anregung des Stoffwechsels und der Regenerationsvorgänge, Stärkung von Selbstwirksamkeit und Resilienz.

Wer die WHM nicht anwenden sollte

Patienten mit Epilepsie, hohem Blutdruck (besonders bei Medikamenteneinnahme), koronarer Herzerkrankung (z. B. Angina Pectoris, stabile Angina Pectoris) oder nach schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Auch während der Schwangerschaft sollte die WHM nicht praktiziert werden.

Wer unter Migräne leidet, sollte mit Eisbädern vorsichtig sein.

Speziell im Fall von CED ist es sicherlich ratsam, mit der WHM nicht gerade während eines Krankheitsschubs zu beginnen und dadurch den Körper noch zusätzlich zu stressen.


Quellen:
[1] Wim Hof, The Wim Hof Method – Activate Your Potential, Transcend Your Limits, Rider; 1st Edition, London, 2020, S. 104. (Deutscher Titel: “Die Wim Hof Methode – Sprenge deine Grenzen und aktiviere dein volles Potential”. In diesem Buch konnte ich sehr viel über ihn und sein Leben erfahren. Die WHM wird darin ausführlich erklärt und zwar so, dass Du sie auch gleich selbst ausprobieren kannst. Das Buch geht auf die Wirkungsweise der WHM ein und enthält Informationen zum aktuellen Forschungsstand sowie Fallbeispiele von Patienten. Ich fand die Lektüre sehr interessant und inspirierend. Wenn Du neugierig geworden bist und noch mehr über die WHM erfahren möchtest, kann ich es Dir wärmstens empfehlen.

Beitragsbild gefunden auf pexels.com, Fotograf: Yaroslav Shuraev